22. Kalenderwoche 2024 – Trinitatis – 26. Mai 2024
Wenn der Gedanke sich von dem verselbständigt, der ihn denkt, wenn er sich wandelt in einen abstrakten Vorstellungskomplex, der abhebt und abstrahiert vom konkreten lebendigen Menschen, dann droht er sich zu entleiben. Der Denkende wirkt dann wie einer, der aus seinem wirklichen Leben abzuheben droht. Das kann gut sein, weil man von oben mehr sieht – und das kann bedenklich werden, weil man die Bodenhaftung zu verlieren droht. Wie also lässt sich beides im Blick behalten?
Der irdische Mensch ist lebendig nur in und als Leib. In der Perikope Epheser 1,3-14 (das ist der Predigttext des diesjährigen Trinitatis-Festes) geht es um den göttlichen Lobpreis (V. 3 eulogeetos = gepriesen, V. 6.12 epainon = Lob) – der zeigt sich aber auch leiblich im Niederwerfen des Körpers auf den Boden wie im Aufheben der Hände zum Himmel. (Eine beachtliche Verbindung beider Bewegungen erlebte ich kürzlich im Freibad. Ein Schwimmtrainer wollte den Kindern den Sprung vom Startblock beibringen. Er beugte sich auf dem Startblock nach unten, die Hände zum Wasser hin ausgestreckt. Er sagte: Nicht so!, richtete sich auf und streckte die Hände nach oben. So! Ihr müsst in den Himmel springen. Nach unten geht es von allein. Aber die richtige Form findet der Mensch, wenn er sich nicht einfach fallen lässt. Die Lebensbewegung geht so, wie in den Himmel zu springen. „Ihr müsst in den Himmel springen!“ Was für eine Orientierung!)
Der „Gedanke“ (und auch die „Idee“) droht die Gabe des Lebens an den konkreten Menschen zu reduzieren auf biologisch Notwendiges, auf eine Gesetzmäßigkeit, auf ein „wenn-dann“. Darunter geht das für den einzelnen Menschen viel wichtigere „wer-der“ verloren. Der Gedanke droht die doch persönlich so wichtige Gabe des Glaubens zu reduzieren auf die Erkenntnis von Zusammenhängen, in denen Glaube zugänglich werden kann. Leben wie Glauben, Schöpfungssegen wie geistlicher Segen erzielen aber ihre ursprüngliche wie zentrale Wirkung nicht in einem geistig abstrahierten Nachvollzug von Begriffen und deren Verbindungen (innerhalb eines wenn-dann-Denkens), sondern im Herzen, in dem geistige gedankliche und persönliche Erkenntnis sich vereinen (Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft 5. Mose 6,5; im Grund und Zentrum deiner Person, in deiner ganzen Lebendigkeit, mit allem, was an Vermögen und Können in dir ist; dann bin ich beim wer-der: der bin ich, der in diesem glaubenden Leben steht). Dann bin ich nicht mehr in einem Wissen, was Leben und Glauben ist und dabei, sie begrifflich zu definieren, sondern ich befinde mich im Empfangen, erfahre, wie es ist, lebendig und vertrauensvoll („gläubig“) zu sein. Da mich das als ganzen Menschen ergreift, ist es nicht nur ein Gedanke im Kopf, es ist zugleich (und noch viel mehr) ein Gefühl im Herzen, eine Regung des Leibes, die sich zeigen kann im Niederwerfen und im Aufheben der Hände. (Man verachte also die äußeren Gesten keineswegs!) Beides symbolisiert auf verschiedene Weise die Erkenntnis der Wirklichkeit meines Lebens wie meines Glaubens (eine Wirklichkeit, in der ich drinstecke und sie nicht nur denke): sie zu empfangen aus dem Wirken Gottes – und hinzu kommt: sie zu teilen mit den Menschen.
Der Geliebte (V. 6) bringt uns die herrliche Gnade, die uns mit Gott im Dank für das Leben und das Erhören des Glaubens vereint und wir untadelig sind vor Gott in der Liebe und vereint mit ihm (= heilig, V. 4). Der Geist, dessen Wirken wir im Inneren spüren, lässt uns eins sein mit Gott – in der Erkenntnis unserer Herkunft und in der Einstimmung auf unsere Zukunft (zeitlich gesagt) und (räumlich gesagt:) als irdische Menschen treten wir ein in ein Leben unter dem offenen Himmel, in ein „irdisch noch schon himmlisch sein“ (EG 384,1).
Epheser 1 begegnet diesjährig als Predigttext für den Sonntag Trinitatis, von der Dreieinigkeit Gottes. Der Begriff ist zumindest mal eine dogmatisch abstrahierte Begrifflichkeit, in der wir Gott als ein Gegenüber unseres Lebens zu denken gewohnt sind (na ja, wenn wir das denn überhaupt noch bedenken … meist wohl nicht!). Setzt man im Gottesdienst mit der abstrakten Begrifflichkeit ein, dann hat man das Problem, dass sich die im biblischen Text laut werdenden Zugänge nicht erschließen – und die zielen auf die dankbare Erkenntnis meines Lebendigseins im Leib wie im Geist als einer Gabe Gottes. Die bewirkt, dass ich mich in der Bewegung des Geistes wie des Leibes dazu verhalte. Das (die Öffnung zur Dankbarkeit) aber geht verloren, wo ich mich auf Begriffsdefinitionen stürze und die Begriffe zum Thema mache. Die wesentliche Frage im Hören auf den Predigttext ist also die, wie es gelingt, das im Text bezeugte und sich gebende Leben des Geistes zu bezeugen, in dem Gott unser Leben nicht nur sieht, sondern mich in seiner Vorsehung von Ewigkeit her in Ewigkeit hinein will, hält und erhält. Es geht also nicht um ein intellektuelles Verstehen des Geheimnisses der göttlichen Dreieinigkeit, über die wir dann schwadronieren würden (und das, ohne sie wirklich durchdringen zu können), es geht darum, im Glauben aufzuleben im Vertrauen auf die Erwählung durch den himmlischen Vater, durch die liebende Erlösung in der Geschichte des Sohnes und im Vereinigtwerden durch und mit dem Geist.
Im Glauben geht es darum, sich in dieser sich so ergebenden Gottesgemeinschaft zu erkennen und seinen Weg zu gehen. Wir haben weithin daraus eine abstrakte Bildungsveranstaltung gemacht oder etwas, in dem nur wir selbst noch die Denkenden, Handelnden, Tätigen und Wirkenden sind mit unseren eigenen gedanklichen Vorstellungen und Aktivitäten. Das halten wir in der Regel dann für unseren (möglichst abgeklärten) Glauben. Aber genau diese Vorstellungskomplexe gilt es loszulassen und sich Gott und seinem Wirken zu überlassen – also raus aus dem Kopf und hinein ins „ganze Leben“ (zu dem dann der Kopf auch dazugehört, aber er ist nicht alles). Dann „zeichne“ ich gewissermaßen über den Rand meiner Lebensverhältnisse und Möglichkeiten hinaus, gelange in den Bereich der göttlichen Perspektiven. Und genau das ist es, was im Bibeltext avisiert wird! Den Glauben, mich selbst, Gemeinde und Kirche und erst recht das Geheimnis Gottes als etwas zu erkennen, das nicht ich und nicht wir machen (oder begrifflich darstellen und in den Griff bekämen), sondern das alles gründet in Gott und zielt auf ihn. So auch wir! Das ist das Geheimnis, das an diesem Sonntag zu feiern ist.