20. Kalenderwoche 2024 – Exaudi – 12. Mai 2024
Beim Schwimmen treffe ich immer interessante Leute. Einer erzählt mir von seinem Konfirmationsspruch. Den hätte er sich auch auf seiner Todesanzeige vorstellen können, erläutert er mit quietschlebendig. Er finde den Spruch auch nach wie vor gut. Aber jetzt neige er eher zu einem anderen Satz: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“
Ich gebe zu, ein wenig überrascht bin ich schon. Zum einen finde ich diese alte Weisheit gar nicht schlecht. Sie enthält die Wahrheit, sich nicht nur auf einen anderen zu verlassen, sondern sich selber auch anzustrengen. Das ist doch gut! Und die Hoffnung auf Gott hält das Wort ebenfalls offen. Gott wird mein Wollen und Tun erkennen und mich nicht im Stich lassen. Das ist eine gute, zuversichtliche Hoffnung. Nichts dagegen. Selbsttätigkeit und Glauben sind keine Gegensätze. Irgendwie gehören sie zueinander. Die Frage ist halt nur: Wie?
Etwas hilflos macht mich der Hinweis, den Satz oben auf eine Todesanzeige zu setzen. Wie soll ich mir denn im Tod noch selber helfen? Vom Tod und gar aus ihm heraus kann sich doch niemand helfen, das ist doch fast so was wie eine Definition des Todes: da geht nichts mehr. Und im Psalter ist zu lesen, im Tod könne der Mensch nicht mal mehr Gott loben. Daraus scheint der Glaube dann auch die Konsequenz zu ziehen, dass dann Gott gegen den Tod Stellung nehmen muss. Braucht er nicht Menschen, die ihn loben? Thront er nicht über den Lobgesängen der Seinen? Würde also sein Thron stürzen, wenn das Lob ausbleibt?
Das ändert freilich nichts an der Einsicht: Selber kann ich mich nicht aus dem Schlammloch des Todes ziehen, in dem ich versinke. Es ist dort nun mal kein Grund, auf dem ich stehen könnte. Hilf dir selbst – das läuft dann ins Leere. Ich brauche also dazu ein wenig mehr. Mir fällt die Geschichte ein, die ich vor langer Zeit mal las. Menschen machten mit Gott eine Wette, wer etwas wirklich Neues ganz kreativ erschaffen könne – eine Wette zwischen Mensch und Gott. Bedingung: auch der Stoff, aus dem man schafft, der müsse neu geschaffen werden. Es muss also wirklich ein ganz und gar eigenes Werk sein. Die Menschen legen gleich los und karren sich dazu Erde heran. Halt, ruft Gott, das war nicht die Verabredung! Ihr dürft nur was nehmen, was ihr selber gemacht habt. Die Menschen schauen daraufhin etwas dumm „aus der Wäsche“. Wie sollen sie das denn machen?
Darauf läuft diese Geschichte hinaus: Wir kommen immer schon von Anfängen her, die wir nicht selber gemacht haben. Bei allem, worin wir uns auch selbst helfen, fußen wir schon auf etwas, das unserem Tun vorausging. Und dann kann ich auch sagen: Nicht mal mich selbst habe ich gemacht. Ich verdanke mich anderen. Ich kann also auch mir selbst nur helfen, weil mir in und zu so vielen Dingen längst geholfen wurde. Die obige Geschichte macht uns deutlich: meistens denken wir darüber gar nicht nach. Normal ist, dass wir das alles als unsere eigenen Möglichkeiten betrachten. Wir vergessen, wie viel uns gegeben ist.
Frühere Generationen hatten es an dieser Stelle vielleicht etwas leichter. Sie fühlten noch mehr, von wie vielen Dingen und Hilfen sie abhängig waren. Die Mächte der Natur waren ihnen auch näher und bewusster. Heute begegnen viele Menschen in ihrem Alltag fast nur noch einer von Menschen gemachten Welt. Etwas anderes fällt ihnen gar nicht ein. Und kommt es zu Engpässen, Nöten oder Problemen, dann erwartet man von der menschlichen Kultur um einen herum Abhilfe. Wir machen alles selbst. Hilf dir selbst, und wo das nicht mehr geht, hoffe auf die Gesellschaft und den Staat. Sind die nicht dazu da, mir zu helfen? Also: Hilf dir selbst, dann hilft dir die Gesellschaft? Oder aber auch nicht…
Der Name dieses Sonntags ist ein Ruf an Gott, einen Beter zu erhören. „Höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und antworte mir.“ (Psalm 27,7; die traditionelle Übersetzung ist „und erhöre mich“, aber es soll offensichtlich eine vom Beter wahrnehmbare Erhörung sein, die er als Antwort vernehmen kann.) Doch Gott erhört uns nicht nur, Gott und sein Christus sehen auch, was wir tragen und ertragen können, was für uns gut und dran ist und wo wir erst noch hineinwachsen müssen (Joh 16,12 im Predigttext dieses Sonntags). Der Glaube enthält für uns also Ausstehendes und vielleicht auch Überraschendes. Überraschend finde ich im Predigttext (Joh 16,5-15) auch die Aussagen über Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Sie enthalten nicht das, was jedenfalls ich damit verbinden würde. Bei der Sünde geht es nicht um mein Verhalten, sondern Sünde ist, Christus nicht zu glauben. Bei der Gerechtigkeit geht es nicht um die Herstellung gerechter Zustände auf Erden, sondern es geht um Jesu Hingang zum Vater. Beim Gericht geht es darum, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist – und somit auch viel von dem, was uns zu „Gott und der Welt“ allemal immer zuerst in den Sinn kommt?
Der Geist, den Jesus verheißt, überwindet die Sünde unserer Gottlosigkeit und schließt uns auf für das Ereignis Christi – dass es nicht nur ein Geschehen außer uns bleibt, sondern uns das Herz wendet, uns zu Gott hinwendet. Der Geist lässt uns hineinsehen in das notwendige Geschehen des Hingangs Jesu zum Vater, mit dem er ja auch die Seine und den Gang der Geschichte auf Gott hinwendet. Und das Gericht stellt uns in die Wirklichkeit der Überwindung des Bösen und des Anfangs der neuen Schöpfung, des Reiches Gottes. Der Geist bindet uns also ein in die Geschichte Gottes, die uns mit Jesus erreicht – und die hinein nimmt er uns mit.
Fast möchte ich sagen: Weil Gott uns auf diese Weise hilft, darum versetzt er uns in die Lage, uns selbst zu helfen – nicht aus unserem Vermögen heraus, sondern aus der Kraft und der Zuwendung heraus, die er uns schenkt.