17. Kalenderwoche 2024 – Jubilate – 21. April 2024
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ Liebe Gemeinde, mit diesem Gruß des Apostels endet der zweite Korintherbrief. Paulus bringt hier auf den Punkt, was ihn mit der Gemeinde in Korinth verbindet – und was Christenmenschen überhaupt verbindet.
Ich sag mal so: Mit den anderen stehe ich im Licht der Gnade Christi. Miteinander sind wir von ihm angesehene Menschen, gewollt und bejaht. Miteinander leben wir in der Liebe Gottes. In der Gemeinschaft und Kraft seines Geistes sind wir verbunden. In unserem biblischen Predigtwort heute ruft Paulus es den Korinthern zu: das „geschieht alles um euretwillen.“
Diese Kraft des Zuwendens Gottes, wie wir sie mit Jesus Christus erfahren dürfen, die stellt Paulus am Schluss seiner Briefe noch einmal heraus. Er stellt sie nicht nur heraus – er stellt sich und die Gemeinde in dieses Zuwenden Gottes noch einmal hinein wie in einen Segen. Wie in ein Licht, das erleuchtet, wie in eine Kraft, die belebt. Das dürft ihr sein, und wir sind es miteinander: Begnadete, Geliebte, Geistbegabte. Und dann auch Begeisterte, denn wer sich so entdeckt, so geliebt, begeistet und begnadet, der jubelt darüber und freut sich; Jubilate, jubelt, ist der Name dieses Sonntags.
Wenn da doch das Licht Gottes ist, in dem wir miteinander stehen – sollte ich dann in meinen dunklen Stimmungen hängen bleiben? Wenn da die Liebe Gottes ist – sind da meine ganzen Kleinlichkeiten und mein persönliches Auftrumpfen nicht schon längst bedeutungslos? Wenn ich mit den anderen verbunden werde in der Kraft des Geistes Gottes – was soll dann mein Beharren auf mich selbst? Ich beschließe, mich fortan von Gnade, Liebe und Gemeinschaft nicht mehr wegziehen zu lassen. Schluss mit all dem Gezeter und Gemecker! Und wenn andere damit kommen, dann will ich es einfach an mir ablaufen lassen. Gottes Gnade und Liebe und die Gemeinschaft seines Geistes – zählen sie nicht mehr als all das Negative und Böse in unserer Welt?
Wie ein Heilmittel, wie eine Arznei höre ich das jetzt: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ Darum: lasst euch nicht runterziehen. Und weil uns die Gnade, also das ungeschuldete Zuwenden, weil uns die Liebe und die Gemeinschaft Gottes gelten – darum bleiben wir zuversichtlich. „Bleiben Sie zuversichtlich“, das ist vielleicht so was wie die Kurzform von dem etwas längeren Segenswunsch des Paulus. Inge Zamperoni sagt das am Ende der Tagesthemen in der ARD. Und erklärt: verankert zu sein „in einem Glauben … hilft einem … ungemein, diesen Schritt zu gehen, auch wenn die Umstände dagegensprechen und da Zuversicht nicht zu verlieren.“
Doch woher die Zuversicht nehmen? Woher nehmen wenn nicht stehlen? – sagt man. Und was man stiehlt, gehört einem ja nicht wirklich. Man hat es an sich gebracht, aber es gehört nicht wirklich zu einem. Wie also wird die Zuversicht ein Teil von mir selbst?
Zuversicht will geübt sein. Zuversicht ist etwas, das immer irritiert und verstört wird. Irgendwas steht immer dagegen. Da sind in der Menschheit böse Entwicklungen, Kriege und Katastrophen. Da sind im eigenen Leben und ganz dicht um einen herum Krisen und Krankheiten. Wie soll man da Zuversicht haben?
Aber Zuversicht ist eine Kraft, die immerzu und die schon immer irritiert und verstört wird. Die ist nicht einfach so da. Sie gedeiht unter Bedrängnissen. Wäre es anders, brauchten wir keine Zuversicht. Dann wäre ja eh schon alles okay – und wir stets quietschlebendig. Dann wären wir schon am Ziel. Sind wir aber nicht. Dann wären wir ja schon im Schauen und brauchten auch keinen Glauben mehr. Dann wären wir schon überkleidet mit dem Leben aus Gottes Ewigkeit, hätten unsere Grenzen und unsere ganze Vergänglichkeit hinter uns. Haben wir aber nicht. Zuversicht ist nicht die Lösung aller Probleme. Sie ist die Kraft, mit der wir trotz fehlender Klarsicht in die Zukunft sehen und gehen, auch wenn die uns immer wieder vorkommt wie eine Nebelwand. Paulus sagt: Die Zuversicht des Glaubens hat das größere Gewicht. Sie ist größer und stärker als alle Ungewissheit, die wir spüren – und als alle Last, die wir tragen.
Allzu menschlich ist es, dann doch zu verzagen. Denn wir verlangen eine Klarheit – die es aber so gar nicht gibt. Wir erwarten ein Gelingen – doch niemand kann es uns garantieren. Sind wir Heutigen also zu Phantasten eines Lebens geworden, das es so, wie wir meinen und wollen, gar nicht gibt? Erfolgreich und perfekt soll alles sein – und weil das nicht geht, werden wir ungnädig und verlogen. Und dann schmeißen sich erwachsene Menschen wie drei- oder vier-Jährige auf den Boden und brüllen. Oder sie resignieren still und leise. Oder sagen: hat alles keinen Zweck – und stecken den Kopf in den Sand. Und wie oft tun wir einfach so, als ob der Erfolg uns gehöre und die Perfektion nahe sei – als ob – und wissen doch selber, dass wir nicht die sind, die wir dann spielen. Dann gehen wir wie Götter durch die Welt, sind aber innendrin nicht nur stolz, sondern ebenso unglücklich. Die Schriftstellerin Thea Dorn sagt es so: „Zuversicht ist nicht das, woran wir uns im Westen in den Jahrzehnten von Freiheit, Wohlstand und Frieden gewöhnt haben. Zuversicht ist nicht das beruhigende Gefühl, das sich im Windschatten günstiger Prognosen einstellt, sondern ein Charaktermuskel, der trainiert werden muss. Und wie für jedes Muskeltraining gilt: Ohne Widerstand geht es nicht. So gesehen leben wir in ganz ausgezeichneten Zeiten.“ (DIE ZEIT 21. März 2024, S. 2, Eine Frage der Haltung, Zuversicht ist wie ein Muskel)
Ausgezeichnete Zeiten, den Muskel der Zuversicht zu üben! Auch in der Kirche haben wir dazu eine ausgezeichnete Zeit. Die Lieder von Harmonie und Gelingen und wir verstehen uns ja hier so gut und stör das bitte nicht – sind die nicht längst ausgesungen? So ausgesungen wie das Lied vom selbstverständlichen Dasein von Glauben und Kirche in unserer Gesellschaft. Zuversicht wächst heute auch in Kirchen und Gemeinden ganz anders: Nicht im Beharren auf etwas doch Selbstverständlichem, sondern im Lernen von etwas, das auch uns Christenmenschen recht unselbstverständlich ist. Zuversicht wächst in Gemeinden als Trainingsstätten von Gnade, Liebe und Gemeinschaft Gottes – gegen Unverbundenheit, Gleichgültigkeit und Selbstfixierung. Christsein, was macht man denn da? Klar doch: den Zuversichtsmuskel trainieren!
Die Zuversicht, von der Paulus in unserem Predigtwort heute spricht, die wird nicht stark an den Fragen und Lasten und all den Infragestellungen des Lebens und Glaubens vorbei. Als sei alles ganz unbeschwert. Nein, da heißt es, wenn Schweres kommt: an den Fragen und Lasten wird trainiert. Unbeschwertes Leben gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Dieser Illusion hängen viele nach. Die Versuche, sie auch mit dem Glauben aufrecht zu erhalten, sind unzählig. Die Frage ist jedoch nicht, wie werde ich das Schwere los. Die Frage ist, wie wird mir auch das Schwere leicht. Es wird mir leicht, ich werde mir selbst leicht, wo ich mich erkennen darf in der Kraft der Auferweckung Gottes in Christus. Ich werde mir selbst leicht in der Gnade, in der Liebe, in der Gemeinschaft Gottes. Mich selbst und die anderen mit diesen neuen Augen des Zuwendens Gottes sehen lernen. Das hebt die Leiden der Zeit nicht auf. Aber es gibt die Zuversicht, wohin wir auf dem Wege sind. Und dass wir einen Gott haben, der uns nicht loslässt. Er hat die größere Kraft. Verbunden mit Jesus Christus gehe ich nicht mehr nur meinen Weg. Ich gerate auf seinen Weg. So sieht es der Apostel.
„Darum“, schreibt Paulus in unserem Predigtwort heute, „darum werden wir nicht müde.“ Darum verzagen wir nicht. Vielmehr: „Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ Verwandelt. Und weil die Lasten und Irritationen und das Schwere mich zu dieser Trainingsarbeit anhalten, meinen Zuversichtsmuskel zu üben, darum schafft diese doch eigentlich geringfügige Trübsal ein Übermaß an Fülle. Denn ich trainiere ja angesichts der Auferweckung Christi, in die mich Gott im Glauben hineinstellt. Ich trainiere den Zuversichtsmuskel in der Zusage einer Fülle, in die Gott mich stellt – mit der Auferweckung Jesu. Und wieder heißt es: das geschieht um euretwillen. Wie also machen wir aus unseren Versammlungen, in denen so viel geredet und behauptet wird, Trainingsstätten der Zuversicht?
Die Frage ist doch: Wie komme ich denn in die Lebendigkeit und Güte hinein, die mich aufleben lässt in der Zuversicht Gottes?
„Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben habe?“ Es gab Menschen, die fragten Jesus genau danach. Wir sagen heute so oft: Wir müssen den Leuten helfen, dass sie zu sich selbst finden. Zu wissen, wer sie sind und was sie wollen. Nach dem ewigen Leben frage sowieso keiner mehr. Also: Ihnen helfen zu ihrer Identität und ihren Selbstdarstellungen. Warum machen wir das mit, diese Welt, in der jede und jeder so sehr um sich selbst kreist?
Paulus weist einen anderen Weg. Das ist ein Weg, auf dem er die anderen zu Gesicht bekommt. Und das ist ein Weg, auf dem das geschieht, was der Name dieses Sonntags ist. Jubilate. Lobt, dankt, preist Gott! Paulus nimmt unsere menschliche Vergänglichkeit an – aber er nimmt sie nicht hin. Er lebt und glaubt aus der Kraft Gottes, in der Gott uns für sehr viel mehr schuf als wir meist sehen. Wer auf Jesus sieht und hört, der geht nicht nur seine eigenen Wege, er gerät auf Gottes Weg. Im Training an der Vergänglichkeit stärkt sich die Zuversicht auf Ewigkeit. Und Ewigkeit heißt immer: Gotteslob. Die Kraft, in der Gott uns aus unserem äußeren Zugrundegehen heraushebt in sein kommendes Reich hinein, die gestaltet nicht nur unser irdisches Leben um. Die schenkt uns nicht nur Zuversicht für unser Leben, offene Augen und freie Hände für das Leben um uns. Die lässt uns auch das Herz froh und die Münder weit werden. Und das ist dann doch neben der Liebe zu Gott und den Menschen und seiner Schöpfung das Hauptmerkmal christlicher Gemeinde: das Loben Gottes. Dass wir Gott zujubeln. „… du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels“ jubelt der Psalm 22 (4). Sind menschliche Lobgesänge also der Platz, an dem Gott zu thronen kommt – und Gemeinden und Kirchen, die Gott nicht mehr loben, die nicht fröhlich sind in seiner Gnade und Liebe und Gemeinschaft, die werden gottlos und damit überflüssig, weil sie kein Haus Gottes mehr sind, kein Haus von Lieben und Loben? Weil Gott uns nicht heilig ist, wo wir nur noch uns selbst heilig sind? Und nur noch bestimmt von der Angst um unsere eigene Zukunft? Also einfach nur selbstbezüglich?
So zu fragen ist nicht der Abbruch der Zuversicht, das ist die Aufforderung, den Muskel der Zuversicht zu üben. Ihn zu üben im Lieben und Loben – und darin, durch Gottes Wort über uns selbst hinauszusehen auf das, was Gott tut. Dieser Gott, der ein Gott der Lebenden ist und nicht der Toten. Und das Leben aus Gott, das hat das Übergewicht gegen alles andere, Zeitliche, Vergängliche. Gottes Kraft ist das Übergewichtige, aus dem unser innerer Mensch lebt. Wenn auch der äußere Mensch vergeht. Unser Leben haben wir nicht aus uns selbst – wir empfangen es von Gott. Und der lässt uns aus dem Ei des Irdischen ins ewige Leben hineinschlüpfen. Nicht erst an einem fernen Tag. Mit unserem inneren Menschen trainieren wir es schon heue. „Die(se) Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ Amen.
Predigtlied: EG 585 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt…
Lied nach der Predigt – EG 585 Ich lobe meinen Gott
Ansagen Schlusslied – EG 432,1-3 Gott gab uns Atem – Fürbittengebet:
Himmlischer Vater, auch wenn es in uns immer wieder dunkel ist – bei dir ist das Licht, und Christus stellt uns in dein Licht hinein.
Auch wenn wir immer wieder verzagen unter Lasten und Fragen – bei dir ist die Hilfe, und du lässt uns nicht, du schenkst uns die Gemeinschaft deines Geistes.
Auch wenn wir immer wieder unruhig und bitter sind – bei dir ist Frieden und Geduld, und du nimmst uns mit auf deinen Weg in das Leben, zu dem du uns schufst und täglich neu erschaffst.
Unsere Vergänglichkeit ist nicht das Ende, nur die Wende in deine Ewigkeit. Unsere Schwäche lässt uns immer wieder verzagen, doch deine Kraft ist in uns Schwachen mächtig.
Wir loben dich, dass du so ein Gott bist, dass du uns nicht lässt – nicht versinken, nicht verkommen, nicht verzweifeln. Du richtest uns auf. Du rufst ins Leben. Dafür danken wir dir und loben dich. Und bitten: Sei allen nah, die dich mit deiner aufrichtenden Kraft jetzt brauchen. Lass sie und lass uns deiner gewiss werden.
Vater unser…
Für diesen Sonntag hatte ich mehrere Predigtentwürfe. Eigentlich fand ich den folgenden am besten, aber die, die ich fragte, empfahlen vor allem den oben stehenden. Warum schnitt der folgende so schlecht ab?
Entscheiden Sie selber! Hier der nächste Versuch, den Text des Sonntags zu predigen.
21. April 2024 – Jubilate 2 Kor 4,14-18 / Entwurf 2
2 Kor 4,14-18
Wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch. Denn es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes. Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsere Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
Überraschung zum Ersten, liebe Gemeinde: Wir werden auferweckt. Das wissen wir. Jedenfalls Paulus weiß das von sich, und er nimmt die ganze Gemeinde der Christen da mit hinein. In dieses Wissen: Wir werden auferweckt. Ein ordentlicher Theologe müsste dem Apostel jetzt eigentlich in die Parade fahren. Nein, Paulus – du weißt es nicht. Du glaubst, du hoffst, du erwartest auch deine Auferweckung. Aber solange die nicht geschieht, glaubst du sie; wissen kannst du davon doch gar nichts.
Vielleicht würde Paulus erwidern: Na doch! Ich weiß es, so wie ich von der Auferweckung Jesu weiß. Paulus ist ja überzeugt, auf einer Reise vor Damaskus dem Auferweckten begegnet zu sein in einer Lichterfahrung. Die ließ ihn erblinden. Und dann wurde er wieder sehend, aber nicht nur äußerlich, auch innerlich. Und jetzt hat er diese innerliche Gewissheit, dass er so sprechen kann: Ich bin dem lebendigen Christus begegnet. Mein ganzes Leben geht jetzt mit ihm, nichts mehr ohne ihn. Und aus dieser Verbindung weiß ich: wir stehen vor ihm, und wir bleiben vor ihm. Davon reißt uns nichts und niemand mehr weg. Nicht mal der Tod. Diese Gewissheit ist tief und fest. In ihr kann Paulus sagen, wir wissen, wir werden auferweckt.
Dieses Wissen kann Paulus freilich nicht nach außen hin nachweisen. In seinem äußeren Leben ist und bleibt er ein vergänglicher und auf vieles angewiesener Mensch. Den Schatz dieser Gewissheit, wir werden auferweckt, den hat er in dem zerbrechlichen Gefäß seines Leibes. Die Gemeinschaft mit Christus macht aus dem Menschen-Erdling weder einen Engel noch einen abhebenden perfekten Heiligen. Mensch bleibt Mensch. Einer, der kommt und der geht. Einer, der zunimmt und der abnimmt; einer, der groß und stark werden kann, aber dann gehen ihm irgendwann Kraft und Energie zum Leben aus. Darüber erhebt sich keiner. Nicht mal ein Apostel.
Überraschung zum Zweiten, liebe Gemeinde: Paulus nimmt seine Erkenntnis nicht aus der Untersuchung der Welt und von uns Menschen. Das Evangelium ist nicht so eine allgemeine Wahrheit, die sich einem erschließt, wenn man nur gründlich die Welt und das Leben untersucht. Das Evangelium, und dazu gehört ja das Wissen, wir werden auferweckt, das erschließt sich im Hören auf das biblische Zeugnis. Das Evangelium ist eben kein allgemeines Gesetz, es ist eine Tat Gottes. Es ereignet sich. Und es ist darauf aus, sich auch in meinem Leben und für mich zu ereignen. Was ist das für ein Satz!: „es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes.“ Die Ehre Gottes, hängt sie auch mit an mir, das Lob Gottes, hängt es auch davon ab, dass ich meinen Mund aufbekomme? Und was ist mit dem Lob und der Ehre Gottes, wenn nicht? Da zeigt sich, es ist kein allgemeines Gesetz mit dem Evangelium. Es ist eine Tat Gottes, und bei der dürfen wir dann mittun. Wer dankt, wer liebt, wer lobt, wer Gutes wirkt: der geht auf Gottes Wegen. Der erweist Gott und den Menschen Ehre. Und je mehr Menschen auf diese Wege geraten, umso größer wird die Ehre Gottes. Die steht also nicht fest, die ist immer im Werden. Und wir mit ihr. Denn ich und wir sind auch im Werden – die Frage ist nur, auf welche Weise wir im Werden sind, ob wir gottlos im Werden sind oder gottvoll.
Überraschung zum Dritten, liebe Gemeinde: wer mit seinem Leben auf die Wege Gottes kommt, wer in seine Fülle eintritt, in die Fülle seiner Liebe und Barmherzigkeit, die uns lebendig machen, die uns jetzt schon aufwecken zum Leben, der verzagt und ermüdet nicht. Der sitzt, ich kann es nicht anders sagen, an der Quelle des Lebens. Und dieses lebendige Wasser von dort, das quillt in diesen Menschen hinein. Es erquickt ihn. Es erfrischt ihn. Es belebt ihn. Es baut ihn auf. Und das hört nicht auf, wenn ich älter und alt werden, das hört nicht auf, wenn ich krank werde, dann ist keineswegs Schluss, wenn mein äußerer Mensch verfällt und am Ende zugrunde geht. Denn ich bin ja nicht nur dieser äußere Mensch. Ich bin auch ein innerer Mensch. Und der lebt nicht aus den irdischen Quellen, der lebt aus Gott. Und von dem, was er von Gott bekommt. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das durch den Mund Gottes kommt“, und das geht hinein in den inneren Menschen. Und dort ruft Gott mit seinem Wort dem, was nicht ist, dass es sei. Und wer diesen Ruf hört, der sagt mit Paulus: Wir wissen. Obwohl wir – also unser äußerer Mensch – das doch gar nicht wissen kann. Aber der innere, der kann es. Der hört und glaubt und dankt, der lobt und liebt und geht auf Gottes Wegen.
Er hört dabei nicht auf, ein normaler Mensch zu sein. Der erlebt auch Leid und Bedrängnis, und all das Sichtbare im irdischen Leben ist auch seine Wirklichkeit. Aber der sieht nicht nur unsere menschlich-irdische Wirklichkeit. Der sieht, wenn man das so sagen darf, auch das Unsichtbare. Jedenfalls ist er der Wirklichkeit Gottes gewiss. Und dadurch weiß dieser Mensch, dass seine sichtbare Wirklichkeit nicht alles ist. Und er weiß zugleich: das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ewig. Und es weist uns ein in eine über alle Maßen große Herrlichkeit. Jedoch – auch dieser Mensch leidet unter den Lasten und Grenzen des irdischen Lebens. Eines aber ist bei ihm anders. Er sieht darüber hinaus. Sein Leben endet nicht an seinem gewöhnlichen Horizont. Er hat eine Kraft im Herzen und ein Licht in der Seele, die kommen nicht von ihm selbst. Und er nimmt einen Ruf wahr, der ihn verlockt, der ihn aufbrechen lässt, und vielleicht kann er dann sogar mit Paulus sagen: Wir wissen. Wir werden auferweckt. Wir sind noch auf dem Wege. Und gehen wir auch durch den Nebel oder gar ins Dunkel – die Gewissheit ist klar und das Licht hell. Die Gewissheit, die Gott schenkt, und das Licht, das er uns anzündet und mit dem er uns leitet.
Nun leben wir in einer Zeit, in der wir Menschen mit dem äußeren Himmel auch oft den inneren Menschen weggestrichen haben. Und jedes Reden vom inneren Menschen kommt uns komisch vor. Passt das noch in unsere Zeit? Und wer glaubt das denn? Das halten viele heute für von Anfang an absurd und unglaubwürdig. Thea Dorn bringt es auf den Punkt: „Wozu aber braucht´s in einer auf irdische Dauer angelegten Glücks-, Güter- und Versicherungsgesellschaft wie der unsrigen noch einen Himmel – außer als Kulisse für den Sonntagsausflug?“ (Trost, 62) Und was im inneren Menschen dem Himmel entsprach, die Seele und das Gewissen, ziehen die dann auch aus aus unserem Leben? Und so werden viele Menschen in dieser Zeit nicht nur haltlos. Sie spüren auch diese merkwürdige Leere, die mit allen möglichen Mitteln immer wieder gefüllt und vertrieben werden muss. Aber bitte nicht mit dem Glauben. So schreibt dieselbe Thea Dorn: „Lieber Paulus, vielleicht ist deine Botschaft ja sinnlos! Euer christlicher Glaube mag Berge versetzen, aber Logik bleibt Logik, und Wunschdenken bleibt Wunschdenken!“ (Trost, 69) Ich sage: die Logik gilt für alles beim äußeren Menschen. Der innere Mensch aber ahnt und erfährt auch das Wunder. Wunschdenken, sagt die eine. Wirklichkeit Gottes, sagt der andere. Und es lässt sich allein mit dem Verstand nicht ergründen.
Für wen nur der äußere Mensch zählt, nur Erfolg und Gewinn und Geld und Gut und wie ich auftreten kann (das ist der Schein), für wen nur zählt, was ich alles weiß und tun kann – der klebt an seinem äußeren Menschen. Und der verklebt sich den Zugang zu seinem inneren Menschen. Und ich frage mich: ist das nicht auch ein Wunschdenken? Und ist es nicht eines, das das Leben verderben kann und vielfach auch wird? Das Aufleben des inneren Menschen aber, der ganz neu hört und sieht und lobt und liebt – der zieht uns hinüber in ein Leben, von dem der nur äußere Mensch nichts wusste. Das muss doch auch mal gesagt werden, sogar in der Kirche, die immer so ängstlich und bedacht ist, nur nichts zu sagen, worüber die Leute ihre Köpfe schütteln könnten.
Es geht doch um etwas ganz Wichtiges. Es geht um das Leben, das uns über das gewöhnliche Überleben hinaushebt, hinein in ein Über-Leben, ein noch anderes Leben über dem, was wir oft schon für das ganze Leben halten. Jacques Derrida sagt es so: „Überleben, das heißt Leben über das Leben hinaus, mehr Leben als das Leben“… – aber ich kann nicht sagen, woran dieser Philosoph dabei denkt. Ihm ist es jedenfalls wichtig, all diese Konzepte und Wissensbestände, nach denen wir unser Leben zu verstehen und zu gestalten suchen, immer wieder in Frage zu stellen. Und das nicht, weil wir nichts wissen könnten, sondern weil das Leben Wege in die Freiheit sucht, in der es leben kann. Ich möchte hinzufügen: in der es leben, lieben, loben kann. Und die Freude des inneren Menschen, sie wird auch noch den äußeren durchfluten. Und mitreißen ins ewige Leben. Und sei es in einen neuen Leib. Das jedenfalls meint Paulus auch zu wissen.
Überraschung zum Ersten: Wir werden auferweckt. Überraschung zum Zweiten: mit und durch Jesus Christus ist das die Wirklichkeit Gottes, die in unser Leben dringt. Die ist noch mehr und anderes als nur unsere eigene Wirklichkeit. Überraschung zum Dritten: Gott gibt unserem inneren Menschen ein Über-Leben, und damit reißt er uns mit in das neue Leben, das er uns gibt. Da fügt sich der Wochenspruch an wie von selbst: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2 Kor 5,17) Des sind wir fröhlich! Amen.