13. Kalenderwoche 2024

13. Kalenderwoche 2024 – Palmarum – 24. März 2024

„Guten Morgen, Bruder, wünsche einen schönen Sonntag.“ Mit diesen Worten begrüßte mich jedes Mal Dieter, wenn ich in meiner Betheler Zeit am Sonntagmorgen zum Dienst im Pflegehaus Mahanaim erschien. Ein schöner Sonntag – auch Ihnen allen! Heute ist ein ganz besonderer Sonntag: Palmsonntag. Da gedenken wir des Einzugs Jesu in Jerusalem und all der Palmzweige, die da geschwenkt wurden. Der Beginn der Karwoche: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ An einem schönen Sonntag kommen uns zwei Wunder in Herz und Sinn. Das Wunder des Lebens – erinnert doch der Ruhetag der Woche an die Vollendung der Schöpfung. Und: Das Wunder des neuen Lebens – steht der Sonntag im christlichen Glauben doch zugleich für den ersten Tag der neuen Schöpfung, die mit Jesu Auferweckung beginnt. „Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ Nehme ich´s zusammen, kann ich sagen: Leben wie Glauben, die sind beide ein Wunder. Ein Wunder Gottes, in dem wir uns finden dürfen.

Das Wunder, das uns den Sonntag schön werden lässt. An ihm wird mir das Wunder des Lebens neu bewusst. Und in einer Welt, die so ist, wie sie ist, da bekomme ich am Sonntag den neu vor Augen, der sich in diese Welt, wie sie ist, fügte. Doch ging er nicht in und mit ihr auf. Gegen all unsere menschlichen Sackgassen hielt er dagegen – hielt dagegen mit einer klaren Menschlichkeit, Mitmenschlichkeit, Menschenfreundlichkeit im Namen Gottes. Doch nicht mal die religiösen Autoritäten fanden das gut. Er störte den funktionalen Ablauf der Gesellschaft. Er störte die faulen Kompromisse. Er störte das Vergessen eines barmherzigen himmlischen Vaters. Und so hieß es dann, bald nach dem grandiosen Einzug in Jerusalem: Weg mit dem. Der hat hier keinen Ort. Er soll, er darf ihn nicht haben. Immer wieder verschließen sich Menschen vor dem Wunder ihres Lebens und vor dem Wunder Gottes, der alles neu macht. Weg mit dem. Warum nur?

In einer Kindergartengruppe erzählte ich, wie Menschen Jesus ausschlossen, wegdrängten, verfolgten. Die Kinder waren nicht nur empört darüber. Sie hatten einen Gegenvorschlag: Den hätten wir in unsere Gruppe geholt und geknuddelt! Hätten wir?

Was ist der grundlegende Irrtum so vieler Menschen? Für mich, ich bin ja in einem Textil- und Modehaus groß geworden (und die Modewelt hat ihre eigenen Größen), für mich hat der Modeschöpfer Karl Lagerfeld die Verrücktheit der Menschen nur allzu deutlich auf den Punkt gebracht. Auf die Frage, ob er an Gott glaube, antwortete er: „Mit mir fängt es an, und mit mir hört es auf. Basta.“ Die Beschränkung des Menschen auf sich selbst. Er hat das auch noch getoppt und gemeint: „Ich interessiere mich nur für mich selbst und mein Spiegelbild.“

Also: Ich will Karl Lagerfeld hier nicht als Anti-Helden hochjubeln. Vor allem ist nicht zu vergessen, dass er ja nur den einen Pol unserer Wirklichkeit formuliert. Am anderen Pol stehen auch viele Menschen, die leider mit sich selbst überhaupt nicht zurechtkommen. Denen täte etwas mehr Interesse für sich gut – vor allem ein Ja zu sich selbst. Also keine falschen Alternativen. Nur der Hinweis: Wer nur auf sich selbst sieht, der wird blind gegen die anderen und auch gegen Gott. Und damit wird er auch blind gegen sein eigenes Leben. Und blind gegen das Wunder des Lebens wie des neuen Lebens aus Gott. Im Glauben geht es darum, dass uns die Augen aufgetan werden für das Wunder! Und: dass wir darin leben.

Bei einem Vortrag höre ich gebannt Harald Lesch zu, dem Astrophysiker, den kennen viele vom Format Terra X. Lesch erzählt von der Entstehung unserer Welt. Und sagt: Wenn Sie das alles sehen und in Rechnung stellen, was passieren musste, damit unsere Welt und die Erde und unser Leben werden konnten, so viele Kleinheiten, so viele Feinheiten, so viele zeitliche, örtliche und stoffliche Bedingungen, die alle stimmen mussten – dann müssen Sie sagen: Nichts ist so unwahrscheinlich wie unser Leben. Nichts ist so unwahrscheinlich wie wir, also: dass unser blauer Planet das wurde, was er ist. Und wir darauf leben. Aber kneifen Sie sich mal: Sie sind doch da! Es gibt uns. Jedenfalls noch. Nichts ist unwahrscheinlicher. Doch es ist geschehen! Das Wunder des Lebens.

Bei einem Schriftsteller, Botho Strauß, lese ich: „Unwahrscheinlicher als Jesus Christus ist nichts.“ Wie das? Im Grunde ist das eine ganz einfache Erkenntnis. Denn Menschen versuchen ja immer wieder, sich selbst und ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sie versuchen all das auszuschalten, was ihnen ungewiss ist und Angst macht. Sie wollen sich darüber erheben. Sie wollen es besitzen, gestalten, Bedrohliches wegmachen. Wer sich seines Lebens ungewiss ist, und wer Angst hat, der nimmt das Leben wie einen Raub. Er will es ja sicher haben. Dann entwickeln wir den Habitus von Erringen und Verteidigen. Die Folge davon ist, dass wir nicht nur einander zu Konkurrenten werden. Sondern wir treten in Konkurrenz zum Leben selbst. Denn das können wir niemals besitzen, wir können es immer nur empfangen und teilen. Diese Haltung aber haben wir weithin ersetzt durch die des Besitzens und Besitzen-Wollens. Ja, nun iss und trink, liebe Seele, und habe guten Mut – denn es ist ja so viel, was du in Händen hältst. Halte ich?

Weil wir so oft so drauf sind, darum ist in unserer Menschenwelt nichts unwahrscheinlicher als Jesus Christus. Der ist nämlich ganz anders drauf. Der nimmt das Leben und die Ehre darin nicht wie einen Raub an sich, der teilt es, der teilt sich selbst und gibt sich in Liebe. Sein Lebenserfolg liegt nicht in dem, was er besitzt an Dingen und Ehre bei Menschen. Sein Lebenserfolg liegt in dem, was er hingibt, damit wir es empfangen. Für dich gegeben, für dich vergossen. In unserem heutigen Predigttext aus dem Paulusbrief an die Philipper bringt der Apostel einen urchristlichen Hymnus zur Sprache. Darin heißt es: „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“

Dabei geht es nicht um eine Gesinnungsethik. Und darum geht es hier auch nicht um ein Vorbild, das wir nachmachen. Es geht um ein Leben von Gott her, in das wir eintreten und uns da hinein verwandeln lassen dürfen. Und dabei ist eines schon verwunderlich. Denn dieses Leben in Gottes Wort erhören und ihm zu folgen, heißt hier keinesfalls die Schöpfung zu fliehen und so komisch heilig zu werden. Es heißt, zu seinem Menschsein zu stehen. Dazu steht Jesus. Die Versuchungsgeschichte in Matthäus 4 illustriert das sehr schön: Sich von Werten wie Wohlstand, Unverletzlichkeit und Macht nicht irritieren lassen, sondern mich selbst annehmen in all meinen menschlichen Grenzen und Gefährdungen. Die kann ich auch nur bestehen mit den anderen und mit Gottes Hilfe, nicht gegen die. Es geht hier nicht um einen Gehorsam des Gottessohnes gegen einen Despotengott, der ein Opfer braucht. Es geht darum, dass und wie wir menschlich werden. Das ist der Weg, den Jesus uns vorausgeht und den wir mit ihm gehen dürfen.

Jesus lebt das Leben des wahren, des menschlichen Menschen. Er lebt es bis in den Tod am Kreuz. Am Ort der Verlorenheit wird er mit allen Verlorenen gleich. Und er hält uns den Spiegel vor, dass das mitnichten immer nur die anderen sind, wie Karl Lagerfeld. Er zeigt uns unsere eigenen Versuchungen und unsere Wirklichkeit auf. Und hält sie aus und hält sie durch, obwohl er selber doch ganz anders ist, er, der mit Gott übereinstimmt. Aber er stellt sich zu uns.

Darum, darum setzt dann der Hymnus wieder ein: Darum hat Gott ihn auch erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist – Herr, Christus. Leiden, Karfreitag und Auferweckung, Ostern hängen ganz und gar ineinander. Und erst das Licht, das von Ostern her auf das Kreuz fällt, lässt uns ahnen, was hier geschieht. Nicht ein Geschehen nur zwischen himmlischem Vater und göttlichem Sohn, und wir bekämen dann Gottes Heil, wenn wir diesen Vorgang akzeptieren und unsere Unterschrift geben: Glaube ich auch! Nein. Sondern: ein Geschehen uns zugut, in dem Gott uns aufsucht in dem, der sich in seiner vollen Menschlichkeit zeigt und sie durchhält und der dann vom Vater auferweckt wird. Darum redet das Neue Testament mehr von Auferweckung als von Auferstehung, die Jesus selber bewerkstelligen könnte. Denn der Fokus des Glaubens liegt immer darauf, dass wir die sind, die ganz und gar und alles von Gott empfangen. Und darum zeichnet der Glaube uns auch nicht vor anderen aus, weder religiös noch moralisch. Vielmehr dürfen wir im Glauben zu Menschen werden, die sich im Wunder des Lebens und im Wunder des Glaubens entdecken. Und die so vor Gott und mit sich und den anderen leben – und teilen, was sie selbst empfangen haben.

Kneifen Sie sich mal, sie Wunder Gottes! Das sind Sie. Und lächeln sie ihrer Nachbarin und ihrem Nachbarn zu: die und der ist es mit Ihnen. Und sagen Sie Gott Dank, dass das beides wahr ist. In dem Lied, das wir gleich singen, geht dieser Dank so: „Da du dich selbst für mich dahingegeben, wie könnt ich noch nach meinem Willen leben? Und nicht viel mehr, weil ich dir angehöre, zu deiner Ehre.“
Und der Friede Gottes, der höher ist alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

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