6. Kalenderwoche

„Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.“

Hebräer 3,15

Die Stimme Gottes zu hören, das ist: Gott begegnen. Dem begegnen, der jetzt da ist. Den hören, der Ich sagt. Wer „Ich“ sagt, ist kein Objekt und kein Ding. Höre ich seine Stimme, wird er mir zum Du. Ahne ich ihn jetzt, ist er präsent, gegenwärtig – nicht nur vergangen, nicht zukünftig, sondern: hier und heute. Von Gott angemessen zu sprechen hieße dann: in diesem Ich und Jetzt ist von ihm zu reden. Zeugnis zu geben von dem Gott, der nah ist. In unserem Wochenspruch sagt Gott seine Nähe zu. Mehr noch: er will uns die Herzen öffnen, ihn wahrzunehmen. Ihn, dessen „Ich“ alle Gegensätze vereint; ihn, der nicht nur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umspannt, sondern der „allein der Ewge heißt“ (Jochen Klepper, EG 64,6). Darum, wo er zu uns spricht, geschieht der Augenblick, der nicht vergeht. Sein Heute, in dem von ihm zu sprechen immer nur heißen kann, zu hören, wie er ICH sagt. Und von diesem Ich her zu sprechen, nicht über ihn in der dritten Person. Das taten früher die hohen Adligen von ihrem Dienstpersonal und ihren Untertanen: „Was will er?“ Zu Gott passt das nicht. Und zu wem Gott „du“ sagt, von dem ist auch nicht mehr in dritter Person zu sprechen. Er tritt heraus aus der Welt der vergehenden Dinge – denn: zu wem Gott spricht, der wird wahrhaft unsterblich! (Martin Luther) Gott und sein Mensch, sie stehen auf ins „Ich und Du“ (Martin Buber), und wer so aufsteht, der tritt in den Morgen des Tages, der nicht mehr vergeht (Augustinus).

Es bleibt für uns nicht nur bei der Platzanweisung, wo wir Gott hören: Unser Platz ist in dem, der Ich sagt. In dem, der immer jetzt spricht. Es folgt dann so etwas wie eine Anweisung für das innere Verhalten, wie wir Gott hören: mit unverstocktem Herzen. Ich stelle mir vor: Das Rad der Gottesbegegnung ist im Schwung, froh und frei dreht es sich, Gott und Mensch haben ihre Freude daran. Aber dann gerät ein Stock in die Speichen des Rades, es stoppt, und der Mensch, der gerade Glauben und Zutrauen wagte, stürzt. Dieser Art „Stöcke“, die das Rad des Glaubens stoppen, die seinen Lauf hindern, benennt Luther in einer widergöttlichen Trinität: die Sünde, der Tod, der Böse. Sie verstocken menschliche Herzen – die Verkehrtheiten, denen wir im Leben begegnen und ihnen auch immer wieder erliegen; das Leid und die Tode, die uns ratlos machen und entmutigen; all das Böse, das uns die Sinne verwirrt und das Leben durcheinanderwirft. Sie sind wie der Stock im Rad. Sie lassen uns nicht mehr hören, geben uns Bohnen in die Ohren und Tomaten auf die Augen. Und das Herz stockt, verschließt sich, ja: versteinert.

Wie Jesus den Lazarus aus dem Grab ruft, so ruft er uns aus unseren Verstockungen und Versteinerungen. Spielt uns neues Leben zu, das ist das Evangelium, das ist das Werk, das Christus für und an uns tut. Das Evangelium hören wir, wann und wo es uns gesagt wird. Gott ist zu hören in seinem Wort. Vom Sehen ist hier nicht die Rede. Aber auch dort, wo Gott sich zu sehen gibt, konfrontiert uns das zugleich mit unseren Sehbehinderungen (Joh 6,46; 9,37-39; 12,44-47; …) Es ist dann Jesu Wort, das zum Sehen einlädt und die Augen zu öffnen vermag. Im Wort kommt Gott nah und bleibt nicht fern (Dt. 30,11-14).

Wir aber, wir verharren oft und immer wieder in Bewegungslosigkeit, im Starren auf die Stöcke, die uns verstockt machen, im Fragen, das erst beantwortet sein will, auf der Suche nach Einsichten und Argumenten, die wir doch alle zuvor noch klären müssten. Darüber geht das Leben dahin. Und wir nehmen dann kaum noch die Stimme wahr, die uns ruft: „Komm heraus!“ (Joh. 11,43), die ruft: „Zieh fort aus der Gefangenschaft!“ (Exodus 6,6-8; 12,31) Öffne Augen und Ohren.

Gottes Zeit ist jetzt. „Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht!“ Czeslaw Milos beschreibt diese Gegenwart Gottes in seinem Gedicht, das er genauso nennt, Gegenwart:

„Herr, Deine Gegenwart, die so augenscheinlich ist, wiegt mehr als jedes Argument.

In meinem Nacken, auf meinem Rücken, spüre ich Deinen warmen Atem.

Ich spreche die Worte Deines Buches, die menschlich sind, so menschlich wie Deine Liebe und Dein Zorn,
Schließlich hast Du selbst uns erschaffen, nach Deinem Ebenbild.

Ich will die geheimnisvollen Paläste vergessen, die von den Theologen errichtet wurden. Du betreibst keine Metaphysik.

Erlöse mich von den Schmerzensbildern, die ich gesammelt habe, als ich die Welt durchwanderte, führe mich dorthin, wo allein Dein Licht wohnt.“

(Czeslaw Milos, Gedichte, München 2013, S. 158)

Das Licht, das uns sehen macht. Das Wort, das Augen und Ohren öffnet.  Gottes Gegenwart. Du, Gott. Jetzt. Lässt mich eintreten in das Heute, das du bist, das du auch mir schaffst und das du gibst.

„Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr. Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor, dass ich mit seinem Worte begrüß das neue Licht. Schon an der Dämmrung Pforte ist er mir nach und spricht.“ (Jochen Klepper, EG 452,1)

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